Zuhause von Daniel Schreiber

Dienstag, 8. Mai 2018


Früher war Zuhause der Ort, von dem man kam – und heute? Daniel Schreiber über die vielleicht wichtigste Suche unseres Lebens.
Wo gehören wir hin? Was ist unser Zuhause in einer Zeit, in der sich immer weniger Menschen sinnstiftend dem Ort verbunden fühlen, an dem sie geboren wurden? In seinem persönlichen Essay beschreibt Daniel Schreiber den Umschwung eines kollektiven Gefühls: Zuhause ist nichts Gegebenes mehr, sondern ein Ort, nach dem wir uns sehnen, zu dem wir suchend aufbrechen. Schreiber blickt auf Philosophie, Soziologie und Psychoanalyse, und zugleich erzählt er seine eigene Geschichte: von Vorfahren, die ihr Leben auf der Flucht verbrachten. Von der Kindheit eines schwulen Jungen in einem mecklenburgischen Dorf. Von der Suche nach dem Platz, an dem wir bleiben können.


K L A R E   G E D A N K E N   U N D   E I N E   H E R V O R R A G E N D E   S P R A C H E

Daniel Schreiber beginnt sein autobiografisches Essay, mit einem Spaziergang durch das frühlingshafte London. Mit poetischen Worten beschreibt der Schriftsteller die Blumenpracht und das kräftige Grün des Frühlings. 
Die persönlichen aber subjektiven Reflexionen des Autors geben vieles über seinen Weg vom Kinder- und Jugendalter bis hin zu den erwachsenen Jahren preis. Zeit, mit der sich Daniel Schreiber lange auseinandergesetzt hat. Der Autor erzählt von seiner Kindheit in einem mecklenburgischen Dorf, für welches er auch später nicht mehr viel abgewinnen konnte, die ersten Schulerfahrungen mit einer sadistischen Stasi-Lehrerin die in bis ins unermessliche quälte und von seinem Ringen mit dem Anderssein der Homosexualität. Dabei geht er natürlich auch auf seine Liebesbeziehungen ein. Er macht eine Trennung und die darauffolgende Lebenskrise zum Ausgangspunkt der Erzählung. Aus dem zuerst poetischen Beginn entwickelte sich das Buch zunehmend eher zu einem theoretischen und philosophischen Gedankenspiel, das wir hier zu lesen bekommen, unterfüttert mit Verweisen auf Sekundärliteratur aus Bereichen der Psychologie und Philosophie.

Die Zeit [...] war von Gefühlen eines überraschend großen Verlusts  geprägt, von einer nicht mehr zu übersehenden Leerstelle auf meiner inneren Landkarte, der Gewissheit, dass mir etwas fehlte. Etwas, das ich nur ≫Zuhause≪ nennen konnte. Ich hatte den Eindruck, nicht genügend gebunden zu sein, und vermisste etwas, das mich esthielt und mir eine gewisse Stabilität geben konnte.

Die Ehrlichkeit und Offenheit mit der Daniel Schreiber hier Zuhause geschrieben hat, macht das Buch zu einem angenehmen, offenen aber keinesfalls indiskreten Bekenntnis des Autors über seine dunklen Stunden und die Suche nach dem Ort, den er als Zuhause betiteln könnte. Die poetischen Passagen sind besonders reizvoll, weil sie unmittelbar eine zu Ort oder Stadt passende Stimmung wiedergeben. Der Autor kann Situationen und Orte anschaulich und sinnlich schildern. Somit konnte Daniel Schreiber meine Sehnsucht nach Städten wie London oder Berlin aufwecken, die er aber mit seinem hervorragenden Schreibstil auch stillen konnte. 
Allerdings wirkt es etwas hilflos, wenn der Autor ausführlich die Lebens- und Fluchtgeschichte seiner Urgroßmutter rekonstruiert und diese mit der Flüchtlingsdebatte vermengt. Obwohl dies nicht so wirklich in das Buch passt war auch dies besonders Interessant für mich, da ich teilweise die Geschichte meiner eigenen Familie irgendwo wiedererkannt habe. Als jemand der in frühen Jahren sein Heimatland und seine Familie zurückgelassen hat und in ein fremdes Land umgezogen ist in der Hoffnung auf ein besseres Leben und eine erfolgreiche Zukunft, konnte ich viele Gedanken des Autors nachvollziehen und habe mich in diesen wiedergefunden. Mit Sicherheit kann man diese nicht verallgemeinern, aber nichtsdestotrotz jeder mag ähnliche Erfahrungen und Entwicklungen erlebt haben, die in einer sich ändernden Welt zur Neuorientierung führen mögen. 
Zuhause ist ein hervorragendes Buch, das Vergleiche zieht und Anstöße zum Nachdenken gibt,  aber in keiner Sekunde besserwisserisch wirkt. Ein rundum gelungenes Buch, das klare Gedanken und eine hervorragende Sprache aufweist. Der einzige Makel des Buches ist dessen Kürze, deshalb bin ich nur noch um so mehr gespannt auf das nächste Buch von Daniel Scheiber und seine wundervollen Gedanken.


B I B L I O

Original: "-" / Februar 2017, Hanser Verlag*, 144 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Übersetzer/-in: -, ★★★★★ 5 von 5 Sternen, hier kaufen als Buch oder eBook

*Vielen herzlichen Dank an den Hanser Verlag für die Bereitstellung eines Leseexemplars!

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